Zwischen Wertschätzung und Klartext
Wer führt, gibt Feedback. Täglich, bewusst oder unbewusst. In einem Seitenblick, im Meeting, im Gespräch mit Teammitgliedern, in einer Mail. Die Frage ist nicht ob, sondern wie.
Und genau hier wird es spannend. Denn viele Führungskräfte balancieren auf einem schmalen Grat: zwischen dem Wunsch, wertschätzend zu sein – und der Angst, zu direkt zu wirken. Zwischen Harmoniebedürfnis und Klarheitsanspruch. Das Ergebnis? Ein Feedback, das oft verpackt, abgeschwächt oder so diplomatisch formuliert ist, dass es am Punkt vorbeigeht. Oder aber ein Feedback, das die andere Person das Gesicht verlieren lässt. Beides nicht ideal.
Haltung: Feedback darf klar sein. Und menschlich.
Ich arbeite mit Führungskräften und Teams nach den Prinzipien des Positive Leadership. Das bedeutet nicht „alles ist super“, sondern eine grundsätzliche Haltung: Menschen stärken, Potenziale sehen, Entwicklung ermöglichen.
Aber – und das ist mir wichtig – nicht auf Kosten von Klarheit.
Gutes Feedback hat Rückgrat. Es benennt, was ist. Ohne zu verletzen. Und es eröffnet Perspektiven – ohne sich in Schönfärberei zu verlieren.
Ein Schubs aus der Komfortzone
Ich glaube an die Kraft des klaren Wortes. Wer mit mir arbeitet, weiß: Ich kann auch mal herausfordern, provozieren – liebevoll, aber bestimmt. Denn genau dort, wo es kurz unangenehm wird, wo jemand denkt „Ui, das war jetzt direkt“, entsteht oft echte Bewegung.
Feedback darf reiben. Es soll etwas bewirken.
Und wie klingt das in der Praxis?
Ein Beispiel:
Ein Kollege hatte einen klaren Arbeitsauftrag übernommen – mit einer ebenso klaren Deadline. Als diese verstrich, kam … nichts. Erst Ausweichen, dann Schweigen. Man hätte freundlich drumherumreden oder einen „Beim nächsten Mal vielleicht früher“-Satz wählen können. Stattdessen:
„Du hast der Vereinbarung und der Deadline zugestimmt. Nun hast du deinen Auftrag nicht geliefert und auch nicht vorab um Verlängerung gebeten oder eine Erklärung abgegeben. Das macht es für mich schwierig, mich auf dich zu verlassen. Was ist passiert – und wie willst du’s beim nächsten Mal besser machen?“
Das ist nicht bequem. Aber ehrlich. Und: Es öffnete den Raum. Für eine Erklärung. Für Verantwortung. Für eine neue Vereinbarung. Kein Drama, keine Abwehr. Klartext – mit Haltung. Und danach: ein konstruktiver Neustart.
Feedback neu denken
In meinen Workshops und Coachings leite ich Führungskräfte und Teams an, Feedback zu geben, das ehrlich, direkt und respektvoll ist.
Wir üben Formulierungen, testen Grenzfälle, reflektieren:
– Wo stärkt mein Feedback wirklich – und wo beruhigt es nur?
– Wie kann ich klare Worte finden, ohne zu verletzen?
– Wie gelingt mir ein ehrlicher Dialog auf Augenhöhe?
Denn Feedback heißt nicht: Ich sage dir, was du falsch machst.
Sondern: Ich zeige dir, was ich sehe – weil mir deine Entwicklung wichtig ist.
Klartext mit Haltung.
Das ist Feedback, das wirkt.
Und weil Entwicklung nicht nur rückwärtsgewandt sein muss:
Was wäre, wenn wir statt zurück auch mal konsequent nach vorn blicken?
Im nächsten Beitrag geht’s um Feedforward – eine Methode, die nicht bewertet, sondern ermutigt.